Herr Groll und das Ende der Wachau - Roman by Otto-Müller-Verlag

Herr Groll und das Ende der Wachau - Roman by Otto-Müller-Verlag

Autor:Otto-Müller-Verlag [Otto-Müller-Verlag]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Otto-Müller-Verlag
veröffentlicht: 2014-07-07T22:00:00+00:00


12. Kapitel

Ein Mann mit einem Geheimnis und ein Fisch namens Lachs

Weihnachten 1968 verbrachten wir bei den Großeltern in Gumpoldskirchen, einem Weinort südlich von Wien, der damals seine große Zeit hatte. Wer in der Großstadt auf sich hielt, fuhr abends nach Gumpoldskirchen und besuchte einen der vielen Heurigen, wo man schweren und süßen Weißweinen zusprach und dazu Backhuhn mit Erdäpfelsalat verzehrte, die man aus einer Braterei holte, denn warmes Essen gab es damals beim Heurigen noch nicht. Eine Ausnahme bildete der Weinstadl in der Jubiläumsstraße, dort wurden auch ausgefallene warme Speisen aufgetragen. Nicht für jedermann, denn zwei Türsteher wachten darüber, daß die Reichen und Prominenten unter sich blieben. Das Häuschen meiner Großeltern war nur ein paar Meter vom Weinstadl entfernt. Wenn die Gäste frühmorgens in ihre Sportwagen und Luxuslimousinen stiegen, hörten wir angeregtes Geplauder und das helle Lachen von Frauenstimmen. Meine Großeltern fühlten sich um den Schlaf gebracht und zogen über die Müßiggänger und Nichtsnutze her, ich aber erfreute mich an den Botschaften aus einer fernen Welt. Ich freute mich auch deswegen, weil das Haus der Großeltern damals kein Ort der Freude und des Lachens war. Mutter hatte den plötzlichen Tod von Vater im März noch nicht überwunden; die Erinnerung an Familienfeste im kleinen Häuschen in den Weingärten mit ihrem Mann war noch so stark, daß sie während des weihnachtlichen Abendessens einen Nervenzusammenbruch erlitt, von dem sie sich tagelang nicht erholte.

Obwohl sie in ihrem Leben viele Rückschläge gemeistert hatten, waren die Großeltern angesichts des Elends meiner Mutter hilflos. Großvater hatte eine großbürgerliche Erziehung genossen, sein Vater war ein führender Buchhalter der Reichsbahn gewesen, bewohnte eine Villa in St. Andrä-Wördern und fuhr bereits 1908 einen Personenkraftwagen der Marke Gräf. Großmutter stammte aus einer Landarbeiterfamilie, hatte sich zu einer Directrice in einem Modesalon der Wiener Innenstadt emporgearbeitet, verlor diese Stellung aber, als das Unternehmen während des Ersten Weltkrieges bankrott ging. Der Chefbuchhalter war ein glühender Patriot, er steckte sein ganzes Vermögen in Kriegsanleihen, wodurch ihm immerhin das Privileg zuteil wurde, den großen Krieg auch am eigenen Leib zu verlieren. Ende 1918 war die Familie abgewirtschaftet, Villa und Voiture mußten veräußert werden. Im Jahr 1915 hatte mein Großvater sich als Jungindustrieller in Krakau versucht, mit geborgtem Geld seines Vaters eröffnete er eine Fabrik zur Herstellung von Schuhcreme. Unglücklicherweise geriet die Ostfront wenig später ins Wanken, ein Durchbruch der russischen Truppen in den Donauraum schien unmittelbar bevorzustehen. Vom Herrenmenschentum der österreichischen Generalität, welches in Massenerschießungen eigener Soldaten kulminierte, blieben die Arbeiter in Großvaters Fabrik nicht unbeeindruckt – sie ließen den jungen Fabrikanten auf der Schuhcreme sitzen und schlossen sich den slawischen Brüdern in der russischen Armee an. Mittellos kehrte Großvater nach Wien zurück. Der Jüngling, der Lenaus Schilflieder auswendig konnte, von der Zeitenwende aber keine Ahnung hatte, mußte von vorn anfangen. In Gumpoldskirchen eröffnete er mit seiner Frau, die als Schneiderin arbeitete, ein Textilgeschäft, das bis Mitte der dreißiger Jahre die Familie mehr schlecht als recht ernährte. Hätten die jüdischen Grossisten des Wiener Textilviertels die Bezahlung von Großvaters Ware nicht immer wieder zinsenfrei gestundet, wäre er auch mit seiner zweiten Unternehmung in Konkurs gegangen.



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